Rezension: „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber

Cover „Marianengraben“ (Bildrechte: Eichborn)

„Und jetzt liebe ich dich nur noch gefangen in einer Zwischenwelt aus Präteritum und Konjunktiv und in einer Realität, die vor deinem Tod ein Leben und danach nur noch ein Zustand war.“

(S.9)

Inhalt: Paula ist nach dem Tod ihres kleinen Bruders Tim in eine tiefe Depression gestürzt. Die Lebensfreude ist mit ihm verschwunden und in ihrem Leben läuft so gar nichts mehr nach Plan. Der ewige Schmerz hat nun die Kontrolle über Paulas Leben, bis sie mitten in der Nacht den Rentner Helmut auf dem Friedhof trifft und sich mit ihm auf einen Roadtrip begibt, der alles verändern wird.

Leseeindruck: Schon der Klappentext hat mir einen Kloß im Hals beschert, so sehr haben mich die Worte berührt. Paula ist die Ich-Erzählerin der Geschichte, in der sie nicht den Leser, sondern immer wieder ihren kleinen Bruder Tim anspricht. Diese Momente haben eine unglaubliche Intensität, denn trotz ihres Alterunterschieds von mehr als 10 Jahren, haben die Geschwister eine sehr enge Bindung. Die Liebe zum Meer, den Fischen, der Natur und natürlich zueinander. Umso schlimmer trifft Paula der Verlust.
Sie versucht ihr Leben mit viel Traurigkeit und einer Portion Sarkasmus zu meistern, was ihr mehr schlecht als recht gelingt, bis sie Helmut trifft.
Die Verbindung der beiden ist einfach großartig: Er der mürrische sture alte Zausel und sie die planlose, traurige junge Frau, aber beide von Herzen gut und mit einer Menge Empathie ausgestattet. Beide kümmern sich in gewisser Weise rührend umeinander, während sie es aber nicht schaffen sich um sich selbst zu kümmern. Dieses Unperfekte was beiden anhaftet macht sie sympathisch und echt. Ich hatte beim Lesen fast das Gefühl ich säße mit im Wohnmobil und bin Teil des Roadtrips. So nah ist man ihnen. Genau das ist auch der Grund, weshalb mich die Geschichte berührt hat, wie kaum eine andere. Das Wechselbad der Gefühle, den sich Paula und Helmut gegenüber sehen, überträgt sich quasi auf den Leser. Man ist in einem Moment tieftraurig und im nächsten lacht man von ganzem Herzen. Stille Momente werden von völlig absurd verrückten abgelöst, ohne dass die Ernsthaftigkeit verloren geht. Diese Bandbreite hat mich beeindruckt. Bisher habe ich mich wenig mit dem Thema Depression auseinandergesetzt, auch weil ich mich immer gescheut habe ein Buch zu lesen, dass mich eventuell deprimiert zurücklässt. Jetzt weiß ich aber, dass da so viel mehr dazu gehört, als nur ein schwarzes Loch und Traurigkeit und dass man auch ein schweres Thema mit viel Leichtigkeit umhüllen kann.
Auch sprachlich ist dieses Buch besonders. Manchmal derb und direkt, oft aber zaubert Jasmin Schreiber sprachliche Bilder aufs Papier, die einfach nur berührend und wunderschön sind:

„Ein Buch in der Hand kann ein echter Rettungsanker sein – wenn die See des Lebens zu rau ist, klammert man sich an Geschichten und lässt sich von ihnen in Sicherheit bringen“ (S.10) Genau dieses Zitat ist so passend für das Buch selbst.

„Man kann das Leben nicht aufhalten, wissen Sie. Das geht nicht. Und den Tod kann man auch nicht kontrollieren, weil der nun einmal zu diesem bekloppten Ritt namens Leben gehört.“
(S.187)

„Wenn Trauer eine Sprache wäre, hätte ich jetzt zum ersten Mal jemanden getroffen, der sie genauso flüssig sprach wie ich nur mit einem anderen Dialekt.“ (S.96)

Noch so viel mehr Zitate aus dem Buch könnte ich hier aufführen, da sich wirklich auf jeder Seite eine sprachliche Perle findet.

Lieblingsnebencharakter: Ich sage einfach mal Lutz. Lest den Roman und findet selbst heraus wer Lutz ist und ihr werdet merken, warum dieser Charakter so wichtig ist. In ihm treffen wieder Spaß, Komik aber auch Traurigkeit und viele Emotionen aufeinander. Danke, dass du Paula ein Stück begleitet hast.

Fazit: Die Grundthemen in ‚Marianengraben‘ sind Trauer, Depression und Schuld und trotzdem ist das Buch unglaublich lustig. Wirklich rührende und verrückte Momente gehen wie selbstverständlich nahtlos ineinander über. Eine Story über die man viel nachdenkt und die einen so schnell nicht mehr loslässt. Ich liebe dieses Buch so sehr, dass ich mich über jeden freue, der es auch liest. Es lohnt sich. Versprochen.

Bewertung:
5 out of 5 stars

Bibliographisch Angaben:
Titel: Marianengraben
Autorin: Jasmin Schreiber
Verlag: Eichborn
ISBN: 9783847900429
Ausgabe: Hardcover (20 Euro)

Ein Gedanke zu „Rezension: „Marianengraben“ von Jasmin Schreiber

  1. Pingback: |Rezension| Marianengraben - Jasmin Schreiber • Literatour.blog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert