„Das Schicksal hatte Hattie dazu ausersehen, Georgia zu verlassen, elf Kinder in die Welt zu setzen und sie im Norden anzusiedeln, aber da war sie selbst noch ein Kind gewesen und der Aufgabe, die ihr gestellt worden war, nicht im Mindesten gewachsen.“
(S.352)
Inhalt: Hattie ist die Mutter von elf Kindern und die Großmutter einer Enkelin. Nachdem sie als junge Frau Georgia verlassen hat, lebt sie nun mit ihrem Mann August und den Kindern in Philadelphia. Nachdem Hattie einen schweren Schicksalsschlag verkraften musste, ist sie eine gebrochene Frau. Die Geschichte spielt zwischen 1925 und 1980 und erzählt in zwölf Kapiteln die Geschichte der Familie.
Leseeindruck: Der Erzählstil hat mir wirklich gut gefallen. Jedem Kind ist ein eigenes Kapitel gewidmet und spielt in einem anderen Jahr. Allerdings sollte man als Leser auch gewillt sein, sich auf diesen Stil einzulassen, denn die Story wird in einzelnen Episoden erzählt. Es ist jeweils eine Momentaufnahme aus dem Leben eines der Kinder, in die der Leser eintauchen kann. Sie befinden sich auch alle jeweils in einem anderen Stadium ihres Lebens. Es bleiben viele Leerstellen, die sich der Leser selbst erschließen muss. Dieser Aspekt hat mir einerseits sehr gut gefallen, es ist eine schöne Idee, die der Handlung Dynamik und Abwechslung beschert. Andererseits ist es ein bisschen schade, dass die zwölf Kapitel streckenweise wie zwölf eigenständige Kurzgeschichten wirken. Ich hätte mir mehr Gemeinsamkeiten zwischen den Geschwistern gewünscht. Der gemeinsame Mittelpunkt aller Geschichten ist eindeutig Hattie, die ihr Leben fast vollständig in den Dienst der Familie stellt. Sie ist die Verbindung zwischen den Geschwistern, die sonst nur wenige Berührungspunkte haben.
Der Grundton der Story ist eher düster, alle Geschichten haben bei mir einen bedrückenden Eindruck hinterlassen. Keine der Figuren scheint das Glück im Leben gefunden zu haben. Alle kämpfen mit den teilweise schwierigen gesellschaftlichen Bedingungen und auch ihren eigenen inneren Dämonen. Ich hätte mir wenigstens einen Funken der Hoffnung gewünscht, denn leider hat sich die düstere Stimmung auch auf mein Gemüt geschlagen. Das hatte dann wieder zur Folge, dass ich das Buch über Tage habe liegen lassen, weil ich trotz der tollen Charaktere nicht weiterlesen wollte.
Lieblingsnebencharakter: Bei diesem Buch war ich kurz davor diese Kategorie freizulassen, da alle Figuren wundervoll gezeichnet sind, mit all ihren Problemen und auch verschiedener Sichtweisen. So mochte ich August die meiste Zeit überhaupt nicht, aber an einigen Stellen kommt ganz konzentriert seine sympathische und väterliche Seite zum Ausdruck. Es ist der Autorin in ihrem Erstlingswerk gelungen viele großartige tiefgründige, lebendige und vor allem glaubwürdige Charaktere zu schaffen.
Mein Bauch hat entschieden und ich wähle Sala, die junge Enkelin Hatties. Einfach aus dem Grund, dass mit ihr mal ein Kind in jungen Jahren im Mittelpunkt steht und in ihrem Kapitel auch das Gedankenleben von Hattie einen Platz bekommt. Dadurch bekommt man zum Ende des Buches nochmal viele neue Einblicke.
Fazit: Eine Familiengeschichte, die vor Problemen nur so strotzt. Kaum ein Fünkchen Hoffnung keimt auf für Eltern und Kinder. Das hat bei mir einen faden Beigeschmack hinterlassen. Über viele Seiten hinweg ist es eine Art Gesellschaftsstudie des Lebens einer afroamerikanischen Familie über zwei (bzw. drei) Generationen hinweg. Der Erzählstil ist sicher ein großer Pluspunkt genauso wie die bildhafte Sprache. Zwei Punkte Abzug, da mir die einzelnen Storys zu düster waren und es schwer war den Zusammenhang zwischen den Geschichten herzustellen. Hattie war der einzige rote Faden, der auch nicht immer zu leicht zu erkennen war. Dennoch bin ich froh, dass ich dieses Buch gelesen habe. Ich kann es definitiv empfehlen, für alle die eine Geschichte lesen wollen, bei der alle Charaktere eine interessante Geschichte haben.
Bibliographisch Angaben:
Titel: Zwölf Leben
Autorin: Ayana Mathis
Übersetzung: Susanne Höbel
Verlag: dtv
ISBN: 9783423280280
Ausgabe: Hardcover
Ich danke dem Verlag für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars.
Empfehlen kann ich das Buch auch. Man muss aber einschränken, dass nicht jeder für diese Art empfänglich ist. Die jüngere Generation wird mit der Darstellung des ärmlichen Lebens der Protagonistin wenig anzufangen wissen. Der Roman lebt einfach von der besonderen Stimmung.