
„Der Großvater und Emil standen sich gegenüber als Spiegelfigur der Zeit, mit einem jungen und einem alten Gesicht, voller Ersatzteile innen drin, Schrauben, die sie zusammenhielten, und einem falschen Herzen.“
(Seite 126)
Inhalt: Alma und Friedrich sind die Eltern des kleinen Emils, der ganz besonderen Schutz braucht, da er keinen Schmerz empfinden kann. Aber nicht nur Emil bestimmt das Leben seiner Eltern, sondern auch die Geschichte der Großeltern hat einen maßgeblichen Einfluss auf Alma. Es dreht sich letztendlich alles um die Frage, welchen Auswirkungen die Schicksale der vorangegangenen Generationen auf das gegenwärtige Leben haben.
Leseeindruck: Die ersten paar Seiten war ich doch stutzig, da der Stil so besonders ist und alles andere als gewöhnlich. Ich habe selten ein Buch gelesen, bei dem jeder Satz so auf den Punkt passt und voller Poesie steckt. Die Sprache ist sehr dicht und gespickt mit wunderschönen sprachlichen Bildern. Diese Wörter muss man erstmal auf sich wirken lassen, um deren volle Schönheit zu erkennen.
Hier ein paar wenige Beispiele, denn man könnte fast jeden Satz auswählen und dann müsste ich ja den kompletten Roman zitieren :-)
„Wann immer Alma als Kind an den Krieg dachte, stellte sie ihn sich als eine magische Maschine vor, in die auf der einen Seite die Menschen hineingingen und auf der anderen Seite verwandelt, fremd und falsch wieder herauskamen.“ S.20
„Die Alten und ihr jüngster Nachfahr waren Antipoden, die Gegengestalten der Familiengeschichte, der eine die Folge der anderen.“ S. 126
„Wie brachte man jemandem Schmerz bei, wie erklärte man ein Gefühl, das nicht erfahrbar war, wie beschrieb man ein Weh, das immer ausblieb.“ S. 112
So kraftvoll die Sprache ist, so zurückhaltend ist der Erzähler. Er ist der stille Beobachter im Hintergrund, der schildert, aber keine eigene Meinung oder Interpretation äußert. Obwohl das eine gewissen Distanz zum Leser schafft, springt der Funke zu Alma und ihrer Familie doch über. Nachdem man zuerst die Großeltern, dann Alma und schließlich deren Sohn Emil kennenlernt, ergibt sich ein komplexes Bild der ganzen Familie samt ihrer Wirkung aufeinander. Und genau darum geht es in diesem Roman: Die Auswirkungen des eigenen Erlebens auf nachfolgende Generationen. Der Großvater muss die Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs verdauen und genauso auch seine Frau.
Diese Erfahrung prägen die Familie bis hin zum kleinen Emil. Das Thema ist durchaus schwer und bedrückend, trotzdem kommt ein angenehmer Lesefluss zu Stande, da die Sprache wieder positiv auffällt.
Lieblingsnebencharakter: Über die Charaktere zu schreiben fällt mir bei diesem Buch schwer, da ich zwar mit den Figuren mitgelitten habe und man überhaupt eine große Portion Empathie braucht, um diese besondere Geschichte richtig wirken zu lassen. Aber alles was bei mir hängen geblieben ist, ist ein Gefühl für die einzelnen Figuren, aber ich habe komischerweise kein Bild vor Augen. Ich weiß, dass Alma sensibel und entschlossen ist, aber ich weiß nicht wie sie aussieht oder wie sie spricht, da nicht ein einziges Mal wörtliche Rede verwendet wird. Aus diesem Grund möchte ich an dieser Stelle keinen Charakter hervorheben, da alle wichtig für die Entwicklung der Geschichte sind und dabei keiner hervorsticht.
Fazit: Ein Mensch wird durch seine Erfahrungen zum dem der er ist und das prägt wiederum die nächste Generation. Valerie Fritsch macht einfühlsam auf diese Problematik aufmerksam und zeigt, wie tief, aber auch unbewusst die Verbindung zu unseren Mitmenschen ist. Die besonders ausdrucksstarke Sprache macht dieses Buch zu etwas ganz besonderem, wenn man gewillt ist, sich darauf einzulassen, denn für eine schnelle Ablenkung für Zwischendurch ist diese Geschichte viel zu schade.
Bibliographische Angaben:
Titel: Herzklappen von Johnson & Johnson
Autorin: Valerie Fritsch
Verlag: Suhrkamp
ISBN: 9783518429174
Ausgabe: Hardcover (22 Euro)
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